"Wir holen die Bessermacherinnen und Bessermacher in unsere Mitte"

Landespolitik

Svenja Schulze, Generalsekretärin der NRWSPD, ist am 2.12. zu Gast beim Stadtparteitag der Dorstener SPD.

Interview mit NRWSPD-Generalsekretärin Svenja Schulze zum Erneuerungsprozess

Der Fußballer Per Mertesacker meinte nach einer schwachen Leistung, man müsse nur in eine Eistonne steigen und könne dann wieder voll angreifen. Der Erfolg bei der Weltmeisterschaft gab ihm recht. Wie lange muss die SPD nun in die Eistonne?


Nur kurz, denn dort ist es ja sehr kalt und Schockstarre können wir uns nicht erlauben. Klar ist, wir wollen wieder die Regierung anführen. Wir nutzen die Oppositionszeit, um schnell besser zu werden und arbeiten an einer neuen sozialdemokratischen Geschichte, mit neuen Inhalten, mit der Ermöglichung einer besseren Beteiligung und mit der zeitgemäßen Organisation unserer Mitglieder. Die Vergangenheit beschäftigt die SPD noch sehr stark. Die frühere Agenda­Politik ist noch nichtverarbeitet. Ich glaube, wir brauchen jetzt eine neue soziale Leitidee. Die SPD muss sagen, wie sie sich den zukünftigen Sozialstaat vorstellt.

Was bedeutet das konkret?

Die Arbeitswelt verändert sich. Die Ansprüche verändern sich. Was muss der Staat da leisten? Wir brauchen als Sozialdemokraten neue Antworten auf diese Frage. Dabei ist klar: Wir unterscheiden uns im Staatsverständnis grundsätzlich von CDU und FDP. Wir wissen, dass wir einen starken Staat brauchen, der nicht nur denen nützt, die viel Geld haben oder in Spitzenpositionen sind. Wir brauchen einen Staat, der jeder und jedem die gleichen Chancen bietet. Die Debatte darüber ist in den letzten Jahren verloren gegangen. Wir müssen sie wieder führen.
 

Nun sagen Forscher, die Bundestagswahl sei entschieden worden von der Debatte  „Sicherheit oder Modernisierung“? Wie soll sich die SPD da in Zukunft positionieren?

Ich glaube, die SPD passt in diese Kategorisierung nicht so einfach hinein. Natürlich bleiben wir uns unserer Tradition bewusst. Viele unserer Mitglieder haben durch ihre eigene Biographie erfahren, was Aufstieg durch Bildung heißt. Wir wissen aber auch, dass der Staat sich verändern muss, um auf der Höhe der Zeit zu sein. Vor 20 Jahren sah die Arbeitswelt noch ganz anders aus als heute. Es ist nicht mehr der Normalfall, über 40 Jahre in einem Betrieb zu arbeiten. Ich gehöre nicht zu denen, die nach diesen Wahlergebnissen sagt, dass wir die besten Programme haben und sie nur schlecht kommuniziert haben. Nein, die Wählerinnen und Wähler haben uns klar gemacht: Unsere Programmatik ist nicht perfekt. Dass wir eine klarere Sprache sprechen müssen, ist unstrittig. Aber wir müssen uns nun vor allem inhaltlich an die Arbeit machen: Welche Ziele haben wir eigentlich für unsere sich ändernde Gesellschaft?

Nun gab es direkt nach dem Wahlsonntag die ersten Vorschläge. Nach der verlorenen Bundestagswahl 2009 war das ähnlich und man hat sich damals darauf verständigt, dass man als SPD dahin gehen müsse, wo es auch mal laut ist oder ein wenig riecht. 2017 hat sie genau in den Gegenden, die gemeint waren, stark verloren. Das Problem ist also geblieben: Wie schafft man Räume, dass wieder mehr Menschen bei der Sozialdemokratie mitmachen?

Wir erleben, dass gerade jetzt viele Menschen in die SPD eintreten. Im September waren es in NRW über 1.000, seit Anfang des Jahres über 7.000 Neumitglieder. So viele gab es seit Jahrzehnten nicht. Die wollen nicht aus Solidarität einen Mitgliedsbeitrag zahlen, sondern aktiv dabei sein. Sie zeigen: Die SPD wird heute nötiger gebraucht als jemals zuvor. Wir müssen mehr Möglichkeiten schaffen, dass unsere Mitglieder sich über ihren Wohnort hinaus beteiligen können. Das passt sonst nicht mehr in die Zeit für diejenigen, die zum Beispiel woanders arbeiten, junge Kinder haben oder die Pflege von Angehörigen organisieren müssen. Die digitale Welt bietet neue Möglichkeiten, diese Menschen einzubinden. Das ist die organisatorische Aufgabe, die vor uns liegt. Die programmatische Aufgabe ist: Wir müssen nicht nur da hingehen, wo es laut ist und die Tasten klappern, sondern ihnen auch das richtige Angebot machen. Die Rechten sagen ihnen: Wir brauchen den Staat allein in der nationalen Variante und dann wird schon alles gut. Wir müssen diejenigen sein, die sagen: Nein, wir lösen die Probleme nur über Grenzen hinweg, mit einem starken Europa und brauchen dafür den Sozialstaat, der Risiken absichert. Aufstieg durch Bildung – das gelingt heute immer weniger. Es wird zu schnell selektiert. Wir müssen dagegen halten: Es kommt darauf an, was man leistet, und nicht darauf, wo man herkommt.


Thema Beteiligung: Am Abend der Bundestagswahl hat die NRWSPD ihre Mitglieder per E-Mail befragt. Was sind die Erkenntnisse und wie geht es weiter?

Wir haben unsere Mitglieder nach diesem historischen Einschnitt noch direkt am Wahlabend gefragt, wie sie das einschätzen, was da passiert ist. Die E-­Mail war dafür der einfachste, schnellste und beste Weg. Über 3.500 Mitglieder haben sich unmittelbar danach an uns gewandt und dem Landesvorstand einiges mit auf den Weg gegeben. Die meisten haben gesagt: Geht nicht wieder in eine große Koalition. Der Vorstand musste ja genau das in diesen Tagen diskutieren. Es war gut zu wissen, dass die überwältigende Mehrheit, die uns geschrieben hat, eine eindeutige Meinung hatte. Sechs Tage später hat der Landesvorstand das beschlos­ sen und hatte eine große Sicherheit, nicht falsch zu liegen. Noch heute werden die Mails aufgearbeitet, damit inhaltliche und organisatorische Ideen nicht verloren gehen. Alle, die mitgemacht haben, bekommen eine persönliche Antwort. Eine solche Befragung ist sehr arbeitsintensiv und kann nur geleistet werden, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter  in der Landesgeschäftsstelle sehr engagiert mitwirken.


Die Beteiligung wird also einbezogen in den weiteren Verbesserungsprozess, der nach der verlorenen Landtagswahl angekündigt wurde. Zwei Kernversprechen wurden gemacht: Inventur und Leitbildprozess. Wie ist da der Stand der Dinge?

Bei der Inventur schauen wir genau hin: Was ist in der Partei eigentlich alles vorhanden? Was funktioniert gut? Was müssen wir weiterentwickeln? Und was müssen wir dringend verändern? Das wurde schon häufiger angekündigt. Aber dieses Mal müssen wir das ganz einfach machen, um den Wendepunkt nach dieser Reihe von verlorenen Wahlen zu schaffen. Das ist der organisatorische Part. Der Leitbildprozess wiederum schaut inhaltlich nach vorne und gibt uns neue Perspektiven: Was ist unsere politische Botschaft? Mit welcher Haltung treten wir Menschen gegenüber? Welche Ziele geben wir uns? Wir wollen auf diesem Weg die SPD in Nordrhein-Westfalen mitnehmen, um zu klären, was uns eigentlich im Kern ausmacht. Das wird aber auch für die gesamte Partei ein wichtiger Prozess sein.


Wie nehmt Ihr die Partei bei diesem Prozess mit?

Das ist kein Prozess nur von Abgeordneten und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, denn das würde viel zu kurz greifen. Gerade in NRW lebt die SPD von einem hervorragenden ehrenamtlichen Engagement. Das ist unser Pfund und jetzt gefragt wie nie. Wir brauchen Multiplikatoren auf allen Ebenen und in allen Bereichen unserer Partei, die dabei mithelfen, die SPD besser zu machen. Diese Bessermacherinnen und Bessermacher sind es, die wir in unsere Mitte holen werden. Dafür werden wir neue Räume der Beteiligung und Orte der kontroversen Diskussionen schaffen. Der Landesvorstand hat bereits vier Prozessarbeitsgruppen zu den Themen “Digitale Partei”, “Personalentwicklung”, “Innere Organisation” und “Kommunalkampa” eingesetzt. Diese breit aufgestellten AGs analysieren vor allem die strukturellen Defizite, die es bei uns in der Partei gibt, und erarbeiten bis zum Parteitag im nächsten Jahr Lösungsvorschläge.


Die SPD soll weiblicher werden. Was muss sich dafür ändern?

Es geht in den Strukturen nicht in der bisherigen Art und Weise weiter. Wir haben zwar eine Quote. Das ist ein Instrument, das sehr hilft. Aber das reicht nicht allein. Wir müssen es Frauen stärker ermöglichen, Verantwortung in Führungspositionen wahrnehmen zu können. Konkret: Die SPD braucht mehr Bürgermeisterinnen und mehr Frauen in den Räten, um die Bevölkerung zu repräsentieren. Bis zur Kommunalwahl dauert es zwar noch mehr als zwei Jahre, aber ich finde es wichtig, eine Zielzahl zu finden, um einen Schrittweiter zu kommen. Wo diese genau liegt, daran werden wir gemeinsam arbeiten müssen. Ich persönlich finde, die 40 Prozentaus der Quote brauchen wir auch in allen anderen Ebenen und Gremien. Das wird natürlich nicht ohne geeignete Bewerberinnen funktionieren. An die gelangen wir wiederum nur über die Begleitung und Ermutigung von Talenten, eine gute Organisation und über Coaching. Da haben wir z. B. mit der Kommunalakademie zwar erste Ansätze, müssen aber deutlich besser werden.


Gleichzeitig müssen die vielen Ehrenamtlichen, die seit Jahren das Rückgrat der SPD bilden, bei dieser Veränderung mitgenommen werden. Die haben in den vergangenen neun Jahren in bis zu elf Wahlkämpfen die Fahne hoch gehalten. Wo früher drei Personen Plakate befestigt haben, ist es heute noch eine. Wie sehen die nächsten neun Jahre aus?

Im Landesvorstand gab es dazu eine sehr offene Diskussion, in der ein Vorstandsmitglied berichtete, dass es in den letzten Jahren so viele Mitglieder zu Grabe tragen musste, dass eine Reihe von Ortsvereinen nichtmehr handlungsfähig ist. Gerade da, wo wir nicht so viele Mitglieder haben, müssen wir uns etwas anderes überlegen. Viele Ortsvereine können das nicht mehr allein schaffen. Da werden wir uns ehrlich machen und das auf anderen Ebenen organisieren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir SPD in Nordrhein­Westfalen mitnehmen, um zu klären, was uns eigentlich im Kern ausmacht. Das wird aber auch für die ge­ samte Partei ein wichtiger Prozess sein.


Landtagswahl, Parteitag, Oppositionsrolle, Bundestagswahl, Erneuerungsprozess, Pannenstart der neuen Landesregierung – in den ersten Monaten als neue Generalsekretärin der NRWSPD ging es hoch her. Wie schnell vergeht dann so eine Zeit?

Das ist schon ein sehr außergewöhnliches Jahr. Für uns alle war es total bitter, bei den Wahlen so zu verlieren, vor allem, wenn man sieht, wie viele sich wirklich stark engagiert haben. Das muss man erst einmal verarbei­ ten und das geht auch an mir nicht spurlos vorbei. Da wischt man sich nicht einfach den Mund ab, schnallt den Helm enger und sagt: Ich geh wieder raus. Das Jahr hat uns viele Aufgaben gebracht, über deren Lösung wir nachdenken müs­ sen. Ich finde es aber klasse, dass es jetzt so viele Ideen gibt, was man alles verändern muss. Das zu organisieren, ist eine große Aufgabe. Ich bin aber fest davon überzeugt: Es lohnt sich. Wenn die SPD in Nordrhein­ Westfalen fest auf den Füßen steht, dann geht es auch der gesamten SPD besser.

 

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